In der Laienpresse und in Internetforen wurde wiederholt über einen Zusammenhang zwischen dem Verlauf einer Covid-19 Erkrankung und einem Mangel an Vitamin D berichtet. Da viele Patienten mich hierzu um eine Einschätzung gebeten haben, gebe ich hier einen kurzen Überblick zum aktuellen Stand der Forschung.
In ersten Berichten zu Covid-19 und dem Vitamin D Spiegel wurde berichtet, dass Patienten mit Covid-19 durchschnittlichen nur halb so hohe Spiegel aufwiesen wie Kontrollpatienten (11,1 ng/ml vs. 24,6 ng/ml, p=0.004).[1] Sehr viel Aufmerksam erhielten Beobachtungen, die zeigten, dass ein Mangel an Vitamin-D mit einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko an Covid-19 verknüpft sei.[2] In einer aktuellen Studie aus dem November 2020 konnten indische Forscher zeigen, dass die Sterblichkeit bei einem Vitamin-D-Spiegel unter 20ng/dl deutlich erhöht ist (21% vs. 3% Sterblichkeit).[3] Zu einem völlig anderem Ergebnis kommen niederländische Forscher, die bei 135 Patienten mit Covid-19 keinen Zusammenhang zum Vitamin-D-Spiegel und dem Verlauf fanden.[4]
Nun sind dies alles ausschließlich „Beobachtungen“. Aus diesen können Hypothesen abgeleitet werden, wie z.B. „Die Gabe von Vitamin-D könnte die Rate an Covid-19-Infektionen senken“ oder „Die Gabe von Vitamin-D könnte schwere Krankheitsverläufe verhindern“. Aber Beweise sind diese Beobachtungen nicht. So weisen vor allem multimorbide ältere Menschen ein erhöhtes Sterberisiko bei Covid-19 auf. Und genau diese Patientengruppe weist per se durchschnittlich niedrigere Vitamin-D-Spiegel auf. Es könnte sich also um einen zufälligen Zusammenhang handeln. In der Wissenschaft wird dies auch „Pseudokorrelation“ genannt.
Wie könnte der Zusammenhang medizinisch begründbar sein?
Grundsätzlich ist gut belegt, dass ein Vitamin-D-Mangel mit einer erhöhten Anfälligkeit der Immunabwehr verknüpft ist. Umgekehrt kann die Gabe von Vitamin-D die Immunfunktion durch Aktivierung der humoralen und zellulären Abwehr und durch Reduzierung entzündungsfördernder Zytokine beeinflussen. In einer großen Übersichtsstudie mit mehr als 11.000 Teilnehmern konnte ein Schutz vor akuten Atemwegsinfektionen belegt werden. Allerdings: Dies gilt nur für Patienten mit nachgewiesenem Vitamin-D-Mangel < 25 nmol/l. Und es sei angemerkt, dass nur die kontinuierliche, also tägliche Gabe effektiv war. Die Bolus-Gabe – die ja oft propagiert wird – erwies sich als unwirksam.[5] Es gibt weitere Hinweise auf mögliche Effekte von Vitamin-D. So vermindert die Gabe von hochdosiertem Vitamin-D die Symptome und die Schwere eines Lungenschadens im Tiermodell mit ARDS (acute respiratory distress syndrom), einer Komplikation, die auch bei schweren Covid-19-Verläufen auftritt.[6]
Letztendlich klären lässt sich der Effekt von Vitamin-D auf Infekte mit Covid-19 also nur durch kontrollierte Studien, also Studien in denen möglichst im Vergleich mit einem Plazebo die Wirkung verglichen wird.
Was für Studien gibt es bisher?
Bisher liegen 3 Studien hierzu vor (Stand 1/21):
1) In der sog. Cordoba-Studie wurde in Spanien bei 76 stationären Patienten mit Covid-19 die Gabe von Vitamin-D randomisiert untersucht. Die Patienten in der Therapie-Gruppe erhielten am ersten Tag 0,532mg gefolgt von 0,266mg Vitamin-D täglich. Von den 50 Patienten in dieser Therapiegruppe musste nur 1 Patient (2%) auf Intensivstation behandelt werden verglichen mit 13 aus der Vergleichsgruppe mit 26 Patienten (50%). Von den 13 Patienten, die eine Intensivbehandlung benötigten, verstarben anschließend 2, die anderen 11 konnten entlassen werden. Kritisch angemerkt sei, dass die Patienten in der Vergleichsgruppe deutlich häufiger an internistischen Erkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes litten, was die Aussagekraft zumindest schmälert[7]. Die Autoren sehen aufgrund der geringen Fallzahl selber die Notwendigkeit einer größeren Studie.
Eine solche „große“ Studie wird derzeit durch eine COVID-Trial-Forschergruppe um Cedric Anweiler in Frankreich durchgeführt. Die Studie läuft sei April 2020 und soll im Frühjahr 2021 abgeschlossen werden.[8]
2) Eine Plazebo-kontrollierte Studie aus Indien mit 40 asymptomatischen Patienten und niedrigen Vitamin-D-Spiegeln < 20ng/dl hat den Effekt von hochdosiertem Vitamin-D (60.00IE) auf die Viruselemination in der PCR des Rachenabstrichs untersucht. Demnach wird das Virus in der Verumgruppe schneller eliminiert. Inwieweit dies eine klinische Konsequenz hat, bleibt völlig unklar.[9]
3) In einer brasilianischen Studie mit 240 schwer an Covid-19 erkrankten Patienten wurde die einmalige Gabe von 200.000IE Vitamin-D verglichen mit Plazebo untersucht. Dabei fand sich kein Effekt auf die Dauer der Behandlung, die Notwendigkeit einer Beatmung oder die Sterblichkeit.[10]
Die bisherige Studienlage ist also ernüchternd. Außer einer kleinen Pilotstudie gibt es bisher keine überzeugenden Studiendaten, die auf einen relevanten Effekt von Vitamin-D auf den Verlauf einer Covid-19 Erkrankung hinweisen.
Schlussfolgerungen
Obwohl es Hinweise in Beobachtungsstudien gibt und auch pathophysiologische Grundlagen auf einen möglichen Effekt von Vitamin-D auf den Verlauf einer Covid-19 Erkrankung hinweisen, zeigen die wenigen bisherigen vergleichenden Studiendaten keine überzeugende Evidenz für den Einsatz von Vitamin-D.
Allerdings spricht auch nichts dagegen, mit Dosierungen bis 2000IE täglich den Spiegel in hochnormale Bereiche zu bringen, falls die laufende große randomisierte Kontrollstudie in Frankreich doch noch überzeugende Hinweise für einen Effekt erbringt.
[1] D’Avolio A, Avataneo V, Manca A, Cusato J, De Nicolò A, Lucchini R, et al. 25-Hydroxyvitamin D concentrations are lower in patients with positive PCR for SARS-CoV-2. Nutrients. 2020;12:1359.
[2] Ilie PC, Stefanescu S, Smith L. The role of vitamin D in the prevention of coronavirus disease 2019 infection and mortality. Aging Clin Exp Res. 2020;32:1195–8.
[3] Jain, A., Chaurasia, R., Sengar, N.S. et al. Analysis of vitamin D level among asymptomatic and critically ill COVID-19 patients and its correlation with inflammatory markers. Sci Rep 10, 20191 (2020). https://doi.org/10.1038/s41598-020-77093-z
[4] Walk et al. Vitamin D – contrary to vitamin K – does not associate with clinical outcome in hospitalized COVID-19 patients https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.11.07.20227512v1.full.pdf
[5]Martineau AR et al. Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory tract infections: systematic review and meta-analysis of individual participant data BMJ 2017; 356 :i6583
[6] Fabbri A, Infante M, Ricordi C. Editorial – Vitamin D status: a key modulator of innate immunity and natural defense from acute viral respiratory infections. Eur Rev Med Pharmacol Sci. 2020;24:4048–52.
[7] Castillo MN et al., Calcifediol Treatment in Hospitalized Covid-19 patients. Journal of Steroid Biochemistry and Molecular Biology, https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0960076020302764?via%3Dihub
[8] COvid-19 and high-dose VITamin D supplementation TRIAL in high-risk older patients (COVIT-TRIAL): study protocol for a randomized controlled trial, https://trialsjournal.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13063-020-04928-5
[9] Rastogi, A. et al.: Postgrad. Med. J.; online publ. am 12. Nov. 2020, doi: 10.1136/postgradmedj-2020-13906
[10] Murei er al. Effect of Vitamin D3 Supplementation vs Placebo on Hospital Length of Stay in Patients with Severe COVID-19: A Multicenter, Double-blind, Randomized Controlled Trial medRxiv 2020.11.16.20232397; doi: https://doi.org/10.1101/2020.11.16.20232397
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